In der Stunde der Dämmerung by Gerrard Nicci

In der Stunde der Dämmerung by Gerrard Nicci

Autor:Gerrard, Nicci
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2015-04-20T16:00:00+00:00


14

Als sie nach Merrys Geburtstagspicknick im Zug zurück nach London saßen, fing es an zu regnen, leicht zuerst und dann mit einer solchen Gewalt, dass es eine Erleichterung war. Der schwere Himmel brach auf und ließ es auf das ausgedorrte Land herabregnen. Eleanor saß mit dem Gesicht zum Abteilfenster und blickte hinaus auf die Felder und Wälder, die sich unter dem Regen duckten. Gil ließ sie in Ruhe. Er sagte, wie sehr es ihm gefallen habe, ihre Familie kennenzulernen, und machte ein paar freundliche Bemerkungen über den Tag, die keine Antwort erforderten. Dann holte er sein Buch heraus, und Eleanor blickte weiter durch die Regenschlieren am Fenster auf die durchweichte Landschaft, und dann auf London, als sie einfuhren, mit seinen Abgasen und seinem Lärm. Die Straßenlampen gingen gerade an.

Gil bestand auf einem Taxi und dann darauf, sie bis an die Haustür zu begleiten. Sie bat ihn nicht herein und gab vor, müde zu sein. Sie spürte die Hitze des Tages auf ihrer Haut, und hinter ihren Augäpfeln pochte es. Gladys unterhielt sich im Flur laut mit jemandem am Telefon, und als Eleanor eintrat, verdrehte sie die Augen und zeigte mit übertriebenen Gesten auf den Telefonhörer, wie um zu sagen, am anderen Ende sei ein Verrückter.

In ihrem Zimmer setzte Eleanor den Hut ab und löste ihr Haar. Sie zog das grüne Kleid aus, das ihr am Morgen noch so gefallen hatte und das ihr jetzt zerknittert und muffig vorkam, und stieg aus den Schuhen. Die Füße taten ihr weh. Der Regen hörte auf, und sie öffnete das Fenster, um kühle Luft hereinzulassen. Mit ihr drang auch der Straßenlärm ins Zimmer. Eleanor setzte sich im Unterrock aufs Bett. Der vor ihr liegende Abend kam ihr endlos vor. Normalerweise unterhielt sie sich bei einer Tasse Tee wunderbar mit einem Roman. Sie blieb gern allein; manchmal musste sie sich regelrecht zwingen, aus dem Haus zu gehen und sich mit Freunden zu treffen, gesellig zu sein. Wenn sie sich etwas gönnen wollte, aß sie manchmal auswärts, ging von ihrem Zimmer ein paar Minuten zu Fuß in ein billiges Restaurant, setzte sich an einen Fenstertisch, aß ein Omelett oder ein Lammkotelett und trank dazu ein Glas Wein. Wenn jemand sie in ein Gespräch verwickeln wollte, was gelegentlich vorkam und manchmal eine Masche war, manchmal aber auch Mitleid – eine junge Frau und so allein –, wies sie es höflich ab.

Sie genoss es, sich ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die meisten Frauen, die sie hier in London kennengelernt hatte, klagten bitter über ihre Armut und was für ein Kampf es sei, über die Runden zu kommen. Die anderen Lehrerinnen sprachen oft davon, sich einen Mann zu suchen, der für sie sorgen würde. Das Unterrichten war für sie nur eine Zwischenphase zwischen dem Erwachsenwerden und dem Heiraten und Kinderkriegen. Der Begriff »alte Jungfer« war zwar eine eher scherzhafte Beleidigung, aber etwas, wovor man sich unbedingt hüten musste. Eleanor hingegen wollte nicht, dass jemand für sie sorgte. Sie wollte für sich selbst sorgen. Sie liebte das Unterrichten und war



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